1211 – 2011
800 Jahre Marbach
Wer Genaueres über die Vergangenheit unseres Ortes in Erfahrung bringen möchte, ist darauf angewiesen, sich zum Aktenstudium in die Archive zu begeben. Die 1953 über dem Eingangsportal der Marbacher St. Gotthardt-Kirche angebrachte Tafel aber ist das für alle Bürgerinnen und Bürger sichtbare Zeugnis, dass wir 2011 Anlass haben, 800 Jahre Marbach zu feiern.
Die zweite Jahreszahl neben der 1211 lautet 1953. Am 30. Oktober 1953 hielt Pfarrer Otto Schneider nach 23jährigem Dienst an der Kirchengemeinde seine Abschiedspredigt und trat wegen Krankheit in den Ruhestand. Im Folgemonat wurde das Kriegerdenkmal, das ursprünglich im Zentrum des Ortes stand, auf kirchlichem Friedhofsgrund aufgestellt. Dieser stille Protest gegen den Versuch der Entfernung des Denkmals erlaubt vielleicht bereits eine Deutung des Sinnspruches „Gott, man lobt dich in der Stille“. Der Satz greift die erste Zeile eines Gesangbuchliedes (Nr. 323) auf. In der Strophe heisst es weiter:
„Du bist doch, Herr, auf Erden
der Frommen Zuversicht,
in Trübsal und Beschwerden
lässt du die Deinen nicht.“
Es ist die Zeit der Verfolgung der Jungen Gemeinden; zwei Jahre später vermerkt die Chronik der Kirchengemeinde: „Gott schenke, dass in dieser bewegten und bedrängten Zeit die kleine Schar nicht verzage, und erhalte uns die treuen Mitarbeiter.“
Gott in der Stille für sein Wirken zu loben, bedeutet nicht, vor den Menschen zu schweigen, wenn ein klares Wort geredet werden muss. Dies hat in der Folgezeit besonders Pfarrer Artur Wild öffentlich gezeigt – und die Älteren im Orte wissen noch das Lied davon zu singen…
Der eigentliche Anlass für die Anbringung der Eingangstafel im Jahre 1953 dürfte aber ein besonderer Geburtstag der Evangelischen Kirchengemeinde gewesen sein. Denn 250 Jahre zuvor, im Jahre 1703, wurde Marbach mit dem Amtsantritt von Pfarrer Georg Christoph Buttstedt ein selbständiges Pfarramt. Von altersher bis über die Reformationszeit hinaus war Marbach ein Filial, eine Tochtergemeinde, von Gispersleben-Kiliani; noch im 16. Jahrhundert aber kam Marbach zu Ilversgehofen und blieb dort bis zu einem kurzen Zwischenspiel unter dem Vater des genannten Pfarrer Buttstedt, der sein Pfarramt in Bindersleben hatte.
2011 also werden es 308 Jahre, während derer Marbach einen eigenen Pfarrer hatte, wobei diese erst seit 205 Jahren im jetzigen Pfarrhaus wohnen – zuvor gab es offenbar keine Amtswohnung am Ort. Inzwischen ist nur noch 50 % des Dienstumfangs einer Pfarrstelle für die beiden Kirchengemeinden Marbach und Salomonsborn gemeinsam vorgesehen. Zugleich hat Marbach so viele Einwohner wie noch nie, und es werden noch mehr werden. Der Grund für diesen Zusammenhang: Inzwischen gehören 80 % der Marbacherinnen und Marbacher keiner Kirche mehr an. Und das ist wohl die einschneidendste Veränderung in den ganzen 800 Jahren Geschichte – jedenfalls für die Kirchengemeinde…
Daher gehört es zu den größten Herausforderungen für die Zukunft, neu zu bestimmen, was es heißt, „Kirche in Marbach“ und „Kirche für die Menschen in Marbach“ zu sein. Ein Vorschlag, der das Motto über dem Eingang der Kirche aufgreift, könnte zum Beispiel sein: In einer lauten Gesellschaft, die es mehr und mehr verlernt hat, auf Zwischentöne zu hören und dem Zwang zur Dauerkommunikation ausgesetzt ist, stellt sich die Frage nach dem Sinn des Schweigens und der Stille immer dringlicher. Gegen den Radau von selbsternannten Göttern und Menschen gilt es, in der St. Gotthardt-Kirche die Tag- und Nachtseite von Stille und Schweigen neu zu entdecken: Verstörung und Beglückung, Lob und Klage, Tod und Leben. Kirche lebt von der Verkündigung des Wortes Gottes und vom Nachsinnen darüber in der Stille des Gebets.
Wie auch immer: Die evangelische Gemeinde feiert jedenfalls das Jubiläum kräftig mit, mehr noch, sie lädt selbst zu einer Reihe von Veranstaltungen und besonderen Gottesdiensten ein, zum Teil auch in gemeinsamer Verantwortung mit Partnern und Freunden am Ort. „Marbach 800“ heißt nämlich, wenn auch anders als früher: Marbach 800 Jahre christlich.
Ricklef Münnich